Der Himmel über Mönchengladbach

Betrachtungen zu einem sehr blauen Himmel, einem Himmel aus meiner Kindheit. Ohne Flugzeuge. Ohne Tun.

Von Lars Lange

Als ich Anfang der 70er Jahre geboren worden bin, da war der Himmel strahlend blau. Ich kann mich daran noch genau erinnern, weil ich damals fasziniert den Strahlen der Abgasfahnen von über den Himmel gleitenden Flugzeugen nachschaute. Kleine, in der Sonne flirrende Punkte, die schnurgerade Linien an den tiefblauen Himmel pufften. Diese Punkte waren sehr selten über Mönchengladbach zu sehen und für mich immer ein echtes Ereignis. Markus, mit dem ich damals sehr dicke war und dessen Eltern einen kleinen, wahrscheinlich sehr illegalen Kiosk in ihrer Reihenhausküche betrieben und mit dem ich unendliche Sommer in einer Zinkwanne in unserem Garten in Wickrathberg verbracht habe, hat mich immer auf diese mysteriösen Punkte aufmerksam gemacht “Guck ma, ein Flugzeug!“, Punkte am Himmel, die weiß auf blau malten.
Seit 1970 hat sich der weltweite Flugverkehr vervierzehnfacht. Seit ich geboren worden bin, fliegen also 14 mal mehr Menschen mit dem Flugzeug. Das ist ein ungeheurer Wert.
Fliegen ist nicht nur im Hinblick auf die CO2-Emmisionen gegen das Leben auf unserem Planeten gerichtet. Jeder Mensch, der sich in ein Flugzeug setzt, verhindert mir einen blauen Himmel.

Denn der blaue Himmel, den wir heute sehen und den wir sehen, seit der Flugverkehr dankenswerter Weise nahezu vollständig und weltweit zum Erliegen gekommen ist, dieser sensationell blaue Corona-Himmel, der ist nicht so blau, weil der Himmel jetzt besonders blau ist, weil das Wetter besonders schön ist, was-für-ein-Zufall-ausgerechtet-jetzt, nein, dieser Himmel ist wieder tiefhimmelblau – weil du nicht mehr fliegst. Weil du Angst hast vor einem kleinen Virus, mit dem du dich anstecken könntest, während es dir sonst egal ist, dass du mit deiner Flugreise andere Menschen tötest, denn schon jetzt sterben Menschen an den Folgen der Klimakatastrophe, die vom Flugverkehr wesentlich mit verursacht wird. Und damit von dir, also einem Menschen, der sich in ein Flugzeug setzt.
Es ist ganz einfach: Der Flugverkehr ist auf deine Mithilfe angewiesen. Ohne dich fliegt so ein Flugzeug nämlich gar nicht. Wie wir jetzt sehen. Es gab zuerst keine Einreiseverbote, Flugverbote gibt es auch jetzt nicht: du bist es, die/der die Flüge storniert hat. Und die/der es geschafft hat, dass die Flugzeuge am Boden bleiben und auf Landebahnen geparkt werden – Landebahnen zu Flugzeugfriedhöfen, wie schön! Das hast du geschafft, es ist wahrscheinlich die größte umweltpolitische Leistung deines Lebens: du hast die Lufthansas und Ryanairs in die Knie gezwungen. Einfach dadurch, dass du nicht mehr fliegst. Und dem System Flugverkehr kein Geld mehr zuführst.
Es braucht also kein Geld, um uns vor der Klimakatastrophe zu retten, wie dieses einfache Beispiel des Niedergangs der Flugindustrie zeigt. Der neoliberale „Green New Deal“, den uns die Grünen aktuell hier in Deutschland verkaufen wollen, dieser Deal, der Milliarden in angeblich ökologische Technologien wie Elektroautos oder Windräder pumpen soll, führt dazu, dass die Menschen mehr Geld in der Tasche haben. Geld, welches sie in die Konsumtion stecken können, unter anderem in touristische Fernreisen oder Städtetrips. Echter Umweltschutz kostet nichts – im Gegenteil: wir müssen geldkodierte soziale Interaktionen generell in Frage stellen. Wir müssen uns fragen, was Geld ist und wem es dient.
Zumindest die zweite Frage lässt sich leicht beantworten, denn wem es bald dient, das ist klar: zum Beispiel den Aktionär*innen der Lufthansa. Jahrelang haben sie fette Gewinne aus dem Unternehmen gesogen. Jetzt wollen sie Staatshilfen. Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren: so soll der Fortbestand einer Gelddruckmaschine gesichert werden. Für leistungslose Einkommen der Besitzenden.

Die Rettung der klimakillenden Luftfahrtbranche hat aber noch einen sozial befriedenden Aspekt: Menschen, die sich im neoliberalen Deutschland immer mehr in prekären und unsicheren Ausbeutungsverhältnissen wieder finden, bekommen durch billige Flüge suggeriert, am globalen Jetset teilhaben zu können. Es ist eine Teilhabe an der imperialen Lebensweise, die die Menschen ruhig werden lässt, die sie vergessen lässt, dass sie abhängig Lohnarbeitende sind. Als Besitzlose sind sie dazu gezwungen, sich den Besitzenden als Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen, um zu überleben. Aber den Lohnarbeitenden nur das bloße Überleben zu sichern, hat sich für die Besitzenden als sozial instabil herausgestellt: Der ausgebeutete Mensch braucht stattdessen eine gewisse Teilhabe an den Strukturen, die ihn ausbeuten. Die Ausgebeuteten müssen selber zum Ausbeutenden werden, um diejenige stabile wirtschaftliche Ordnung zu erhalten, die wenigen Menschen immer mehr Reichtum ermöglicht. Fliegen die Einen mit Privatjets um die Welt, können sich die Anderen den jährlichen Indienflug zur Ayurvedatherapie oder zum Meditationskurs leisten: im Fliegen bin ich über den Anderen, katapultiere ich mich für drei Wochen aus der Sphäre des Knechtes hinaus in herrische Höhen: Der Führer über Deutschland, über den Planeten, das kann ich auch sein! Und so, um Lohnarbeitende temporär zu Herrschenden machen zu können, wird ein Verkehrsmittel weiter subventioniert werden, das klimapolitisch am Boden bleiben muss. Die flugfreie Utopie wird also wahrscheinlich nicht lange Bestand haben.

Trotzdem: Der Flugverkehr ist temporär in die Knie gegangen, und das ist eine fantastische Nachricht. Für den Planeten, für dich, für mich. Er beschert uns nicht nur eine unsichtbare, aber gewaltige Reduktion von CO2-Emmisionen, sondern auch einen blauen Himmel. Das Prinzip, das uns jetzt einen blauen Himmel beschert, kennt der Daoismus als „Wu Wei“, als „Handeln im Ohne-Tun“. Kein Aktionismus, kein Protest, keine Revolution ist so mächtig wie dein Handeln durch Nicht-Handeln. Du bist mächtig, du kannst Flugzeuge zu Boden werfen. Durch Nicht-Fliegen.

Und hey: wenn hier so blauer Himmel ist, ist es hier in Deutschland nicht auch schön? Musst du da wegfliegen an Orte, die vermeintlich schöner sind? Wenn du nicht mehr Auto fährst, brauchen wir da noch dieses Straßennetz, das die Schönheit unserer Heimat zerstört? Wenn du nicht mehr bei Amazon bestellst, brauchen wir da noch die Logistikzentren, die vormals blühende Felder waren?

Wir haben die Zukunft in der Hand, eine Zukunft, die gerade jetzt greifbar zur Gegenwart wird. Durch Nicht-Handeln, durch Ohne-Tun. Allerdings würde dieses Nicht-Handeln wahrscheinlich erst möglich werden, wenn wir die gesellschaftlichen Verhältnisse ändern, in der ich meinem Ausgebeutet-Sein nicht mehr durch die Ausbeutung-Anderer entfliehen muss.

Der Kampf würde sich lohnen: es geht um eine Zukunft und Gegenwart, in der es einen tiefblauen Himmel gibt.

Ein Gedanke zu “Der Himmel über Mönchengladbach

  1. Cora Herzog schreibt:

    „Wir haben die Zukunft in der Hand…“ (HERZ) (HERZ) (HERZ) Danke Lars, dass du dich zeigst und „aussprichst-schreibst“ was dir auf der Seele brennt, mit allem was ist.

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